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Beilage C
Kirchengemeinde-Ordnung

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§ 1

Dem Kirchengemeinderat ist die Sorge für das sittliche, religiöse und kirchliche Wohl der Gemeinde anvertraut, und er hat als solcher alle kirchlichen, Schul- und ökumenischen Angelegenheiten derselben im Namen der Gemeinde überhaupt zu beraten und zu leiten, und insbesondere über die Sittlichkeit ihrer Glieder zu wachen.
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§ 2

Nur verständige vorwurfsfreie Männer, die ein gut Gerücht haben (ApostGesch. 6,3), wohlgehalten vor allem Volk (Apost.Gesch. 5,13), sollen solch ein Amt verwalten.
Anmerk: Solche, die noch nicht in der Ehe sind, oder waren, oder die, welche solche Ortsdienste haben, die sie von der weltlichen Ortspolizei ganz abhängig machen, sind nicht zu Kirchenältesten zu wählen.
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§ 3

In der Regel besteht der Kirchengemeinderat, mit Einschluß des Pfarrers und Kirchenrechners, aus nicht weniger als 4 und nicht mehr als 10 Personen. Gleiche Verhältnisse finden auch in den Filialgemeinden statt, doch hat sich der Kirchenvorstand einer Filialgemeinde nur da mit der Mutterkirche zu beraten, wo es sich um gemeinschaftliche Angelegenheiten handelt. In den Hauptstädten richtet sich die Zahl nach besonderen Rücksichten.
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§ 4

Nur der Pfarrer, oder wo mehrere sind, die Pfarrer und die Kirchen- oder Almosenrechner sind ständige Beisitzer des Kirchengemeinderats, und der Pfarrer ist als Vorsteher desselben anzusehen.
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§ 5

Die Ernennung des Kirchenältesten geschieht nach der bestimmten Wahlordnung von der Kirchengemeinde, entweder von allen stimmfähigen Personen oder in ihrem Namen von einem Wahlausschuß auf eine bestimmte Zeit. Nahe Verwandte dürfen nicht in den Kirchengemeinderat gewählt werden. Von der getroffenen Wahl, sowie dem Austritt der Kirchenvorsteher, ist jedesmal der nächstvorgesetzten geistlichen und weltlichen Amtsbehörde, sowie der Gemeinde Nachricht zu geben.
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§ 6

Die Kirche im Ganzen und jede Kirchengemeinde insbesondere rechnet mit Zuversicht darauf, daß jeder, der durch das Vertrauen seiner Brüder zu einem solchen Ehrenamt erwählt wird, sich durch sein Gewissen verpflichtet achte, es willig zu übernehmen, und aus demselben nur um nicht zu beseitigender Hindernisse willen austrete.
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§ 7

Das eintretende Glied des Kirchengemeinderats wird von diesem nach dem vorliegenden Formular verpflichtet, es gelobt treue Erfüllung seiner Pflichten unter Gottes Beistand und bekräftigt sein Gelübde durch Handschlag. Der Kirchen- oder Almosenrechner wird außerdem noch von der weltlichen Behörde verpflichtet. Wer jenes Gelübde bricht, muß aus dem Kirchengemeinderat entlassen werden.
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§ 8

»Zwiefacher Ehren wert sind die Ältesten, die ihrem Amte wohl vorstehen (1. Tim. 5,17). Sie haben und verdienen öffentlichen Glauben, einen Ehrenplatz in der Kirche, und die Kirche, die einem Ältesten nach 15-jährigen wohlgeleisteten Diensten auch ein äußeres Zeichen ihrer Dankbarkeit darreicht, ehret damit sich und den Wohlverdienten.«
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§ 9

Der Kirchengemeinderat versammelt sich in dem Kirchenzimmer oder an einem anderen schicklichen Orte, in der Regel alle Monat einmal, an fest dazu bestimmten Tagen, deren Auswahl sich nach dem Verhältnis der Gemeinde richtet. Ohne absolute Hindernisse kann sich weder der Pfarrer noch ein Kirchenältester von diesen Versammlungen dispensieren. Außerordentliche Versammlungen läßt der Vorsteher des Kirchengemeinderates ansagen.
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§ 10

Jede Sitzung wird von dem Vorsteher mit einem Gebet eröffnet, dann das Protokoll der vorigen Sitzung verlesen, und bemerkt, was in Gemäßheit desselben geschehen ist, und zu den regelmäßigen Geschäften, als der Untersuchung der von den Schullehrern monatlich einzureichenden Verzeichnisse der Schuldversäumnisse, der Rückstände an Schulgeld, fortgeschritten. Jedes Glied des Kirchengemeinderats trägt hieraus, was ihm entweder insbesondere obliegt, oder sich auf irgend eine Weise auf das Wohl der Gemeinde, teils in religiöser und sittlicher, teils in kirchenökonomischer Hinsicht bezieht, vor, und nach brüderlicher Beratung oder Abstimmung wird darüber beschlossen. Über sämtliche Verhandlungen und Beschlüsse wird von dem Pfarrer oder einem Kirchenältesten, nicht jedoch von dem Schullehrer, ein, zwar die einzelnen Gegenstände darstellendes, doch bündiges Protokoll geführt, und von sämtlichen anwesenden Gliedern unterzeichnet.
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§ 11

Wie der Kirchengemeinderat überhaupt das Wohl der Kirchengemeinde zu erhalten und zu fördern trachtet, so verwaltet er insbesondere in derselben die Sittenanstalt. Indem er aber sich fest dabei in seinem kirchlichen Kreise hält, und, wo es Not tut, nur Ermahnung und Rüge anwendet, spricht er, wo diese nicht hinreichen, die weltliche Gewalt um ihr Einsehen und Zutun an.
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§ 12

In seinen Wirkungskreis gehören:
  1. Aufsicht über die christliche Führung der Ehe und des Hausstandes, die Erziehung der Kinder und das gegenseitige Verhältnis der Herrschaft und des Gesindes,
  2. Aufsicht über die Schulen, sowohl Werk- als Sonntags-, Industrie- und Abendschulen, über das Verhalten der Lehrer und Schüler, sowie über die Verhältnisse und das Einkommen der ersteren.
  3. Wachsamkeit über das Betragen der erwachsenen, ledigen Jugend, und besonders über sich äußernde Unsittlichkeiten derselben, die zum Sittenverderben führen, über Ausgelassenheit in den öffentlichen Vergnügungen, Nachtschwärmerei, Trunkenheit, Händelsucht und Spielsucht.
  4. Eine väterliche Aufsicht über den Wandel aller Glieder der Gemeinde in jedem Lebensalter, und besonders Wachsamkeit, wo solche Laster sich zeigen, die der Gemeinde Ärgernis geben; verdächtiges Beisammenwohnen unverheirateter Personen in gemeinschaftlicher Haushaltung, gotteslästerliche Äußerungen oder sündliches Fluchen und Schwören, Afterreden und Verläumden, Üppigkeit und Schwelgerei, Unehrlichkeit und Wucher usw.
  5. Aufsicht über würdige Feier der Sonn- und Festtage, nach den darüber ausgesprochenen Gesetzen.
  6. Besondere Aufsicht über die kirchlichen Gebäude und Geräte, so wie über Anstand, Ordnung und Stille, während des Gottesdienstes, sowohl in- als außerhalb der Kirche, in den Straßen, öffentlichen und Privathäusern des Orts.
  7. Aufsicht über die Unterstützung und christliche Besorgung der Armen, Kranken, Witwen und Waisen, damit dieser wichtige Teil des Kirchengemeindeamts zum Segen der Gemeinde gehörig verwaltet werde. Er bestellt also aus seiner Mitte einen Almosenrechner, kontrolliert die laufenden Einnahmen vom Kirchenopfer, verwendet dieselben in Gemäßheit der bestehenden Gesetze, hört die von demselben nach einem einfachen Formulare gefertigte Rechnung ab, und richtet sich im übrigen darin nach den gegebenen Verordnungen des Staates und der geistlichen Behörden.
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§ 13

Diese väterliche Aufsicht erstreckt sich über alle Glieder der Gemeinde, und wo es der Kirchengemeinderat für notwendig achtet, weist er zu diesem Zwecke seinen Gliedern besondere Destrikte der Gemeinde an, um dadurch zu einer desto klareren Kenntnis des sittlichen Zustandes derselben zu gelangen.
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§ 14

Wenn der Kirchenälteste in der Gemeinde einen sittlichen Fehler bemerkt, hat er vorerst den Pfarrer davon in Kenntnis zu setzen, damit dieser sein Seelsorgeramt ausübe. Sollte sich davon keine gesegnete Wirkung ergeben, sollte selbst die durch einen erbetenen Ausschuß von 2 oder 3 der ältesten Glieder des Rates geschehene Ermahnung fruchtlos bleiben, und das fernere Betragen eines Fehlenden der Gemeinde Anstoß geben, so hat der Pfarrer oder Kirchenälteste dem versammelten Kirchengemeinderat davon die Anzeige zu machen, der, wenn er es für nötig erachtet, den Fehlenden vor sich ladet. In der Regel geschieht davon noch keine Erwähnung im Protokoll, sollte es jedoch in einzelnen Fällen um der Folge willen für nötig erachtet werden, so ist es auf eine schonende Art zu tun, und alles zu verhüten, was ohne Not die Personen blosgibt.
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§ 15

Mit freundlichem Wort und ernster Ermahnung hat der Kirchengemeinderat dahin zu arbeiten, daß der Fehlende in sich gehen, sein Unrecht erkennen und zur wahren Reue und Besserung bewogen werden möge. Finden diese Mittel keinen Eingang, so bringt der Kirchengemeinderat die Sache zur Erkenntnis der Kirchenvisitation, damit bei dieser nochmals alle Kraft des Wortes und der Ermahnung an den Fehlenden angewendet werde.
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§ 16

Wo etwa an die Stelle jener Vorladung und mündlichen Ermahnung zur leichteren und gesegneteren Wirksamkeit der Einschreitung des Kirchengemeinderats zuerst eine schriftliche Ermahnung und dann eine mündliche Wiederholung derselben durch eine aus dem Kirchengemeinderat gewählten Deputation von 2 bis 3 Personen eintreten könne, bleibt dem gewissenhaften Entscheide desselben überlassen.
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§ 17

Wie nun dieser Kirchenordnung alle Glieder der Kirchengemeinde jedes Standes unterworfen sind, so auch die einzelnen Glieder des Kirchengemeinderats, ja selbst Personen des geistlichen Standes ohne Ausnahme.
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§ 18

Hat der Kirchengemeinderat die ihm zustehenden Mittel des Wortes und der Ermahnungen treulich angewendet, und es zeigen sich dennoch in der Gemeinde Fehler und Laster, die, um ein größeres Unheil zu verhüten, Strafe bedürfen, z.B. einreißende Schulversäumnisse aus offenbarer Schuld der Eltern, mutwillige Störung der Sonn- und Festtagsfeier, ausfallende, den Frieden und sittlichen Zustand des häuslichen Lebens gefährdende Vergehungen von Ehegatten, herangewachsenen Kindern oder Dienstboten, oder überhaupt einzelne fortwährende Unsittlichkeiten und Ausschweifungen, so zeigt der Kirchengemeinderat der weltlichen Obrigkeit an, daß er bereits alle in seinem Wirkungskreise liegenden Besserungs- und Sicherungsmittel angewendet habe, und wie er von derselben gedeihlichen Einwirkung erwartet, so hat er auf den Erfolg seiner Anzeige ein aufmerksames Auge zu richten, und wenn es dessen Not tun sollte, weitere höhere Unterstützung in den geeigneten Wegen nachzusuchen.
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§ 19

Sind alle väterlichen und oft wiederholten Ermahnungen, sind alle freundliche und ernste Versuche des Kirchengemeinderats, einen verstockten Sünder zu bessern, der in den Worten und Werken eine entschiedene Verachtung des Göttlichen an den Tag gelegt, und durch sein Exempel die Gemeinde selber gefährdet, fruchtlos geblieben, so hat der Kirchengemeinderat von diesem traurigen Falle die höchste Kirchenbehörde in Kenntnis zu setzen, damit, wenn auch sie alle in ihrem Bereiche stehenden Mittel der Besserung vergebens angewendet hat, nun nach den bestehenden Gesetzen gegen denselben entschieden und verfahren werde.
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§ 20

Die kluge und umsichtige Amtsverwaltung der Kirchengemeinderäte ist besonders da erforderlich, wo die Einwohner eines Orts aus Gliedern beider christlichen Kirchen bestehen. Sollte an solchen die öffentliche kirchliche Ordnung überhaupt, und an Sonn-, Fest- und Bettagen insonderheit von katholischen Einwohnern allein gestört oder Anstoß und Ärgerniß gegeben werden, so wendet sich der evangelische Kirchenvorstand zuvörderts mit seinem schriftlichen Ansuchen um gedeihliches kirchenamtliches Einsehen an den katholischen Kirchenvorstand, oder wenn sich kein solcher im Ort befände, an die nächste weltliche polizeiliche Behörde, und falls dieses ohne Wirkung bliebe, durch seine nächst vorgesetzte geistliche, an die weitere höhere weltliche Behörde. Sind Personen von beiden Kirchen in solchen Fällen kirchengesetz- und kirchenpolizeiwidriger Ereignisse beteiligt, z.B. in gemischten Ehen, so versucht der evangelische Kirchenvorstand mit dem katholischen einen amtsbürgerlichen Zusammentritt zur Erledigung der Sache.
Findet ein solcher nicht statt, oder ergibt er keinen erwünschten Erfolg, so tritt auch hier die polizeiliche Aufsicht mit deren bemerkten Schritten ein. Doch bleibt es die Pflicht des Evangelischen Kirchengemeinderats, in solchen Fällen gemischter Art, in welchen er den evangelischen Teil für schuldig hält, seinen stillen Weg des Wortes und der Ermahnung an denselben fortzugehen. Ganz hiernach sind auch die in gemischten Ehen vorkommenden Schulversäumnisse zu behandeln, und in der Regel das jeweilige Familienoberhaupt als schuldiger Teil anzusehen.
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§ 21

Das ist der Ältesten wichtig und ehrwürdig Amt; und wenn an sie vor allen das apostolische Wort ergeht: »Hat Jemand ein Amt, so warte er des Amtes; regieret Jemand, so sei er sorgfältig; übt Jemand Barmherzigkeit, so tue er’s mit Lust« (Röm. 12,7,8), so kommt es allen Gliedern der Gemeinde zu, nicht allein in der Furcht Gottes untereinander untertan zu sein« (Eph. 5,21), willig sich in die Anordnungen der Ältesten zu fügen, und ihren Ermahnungen Gehör zu geben, sondern auch »allezeit für sie zu beten, daß Gott sie würdig mache ihres Berufes, auf daß auch durch sie gepriesen werde, der Name unseres Herrn Jesu Christi« (2 Thess. 1,11,12).
Beilage: Die Verpflichtung der Glieder des Kirchengemeinderats betreffend
Bei dem ersten Eintritt des neu Erwählten in den Kirchengemeinderat macht ihn der Vorsteher desselben vordersamst auf die Wichtigkeit des übernommenen Amtes aufmerksam, überreicht ihm sodann ein Exemplar der Kirchengemeinde-Ordnung und verpflichtet ihn durch folgende, jedesmal von einem Geistlichen in dem Rat vorzulesende Formel: »Ihr sollt mittels abzulegender Handtreue geloben, daß ihr als Mitglied des Kirchengemeinderats diese euch zugestellte Ordnung und Instruktion nach ihrem ganzen Inhalt euch genau bekanntmachen, diese, wie auch alle bereits ergangenen und noch ergehenden landesherrlichen Kirchen-Polizeigesetze und Ordnungen nach bestem Wissen und Gewissen beobachten, mithin nicht nur mit allem Fleiße darauf sehen wollet, daß die zum öffentlichen Gottesdienst bestimmten Tage unter und nach der Kirche still und heilig zugebracht, und aller Unfug sowohl in den öffentlichen Wirts- und anderen Häusern dieser Art, als auch in den Privatwohnungen, soviel an Euch ist, vermieden werden; sondern auch überhaupt auf sämtliche Inwohner des Kirchspiels ohne Unterschied des Standes und Alters, wie auch auf das öffentliche Betragen der Fremden, ein aufmerksam Auge haben wollet, damit kein Laster herrschend, das Gute befördert, und Tugend und Gottseligkeit immerhin ausgebreitet werde; daß Ihr aus Menschenfurcht oder Menschengefälligkeit niemandes schonen, sondern unparteiisch und ohne Nebenabsichten, und ebenso wenig aus Abneigung oder Feindschaft und Rache dem Vorsteher des Kirchengemeinderats und diesem selbst alles anzeigen wollet, was ihr der christlichen Sitte und Zucht, so wie den Kirchengesetzen Zuwiderlaufendes bemerket, oder sonst in zuverlässige Erfahrung bringet, wie ihr solches vor Gott, eurem Gewissen, und der Kirchengemeinde, in deren Namen und aus deren Auftrag ihr mit dem Vertrauen derselben zu handeln habt, jetzt und einst am Tage der Rechenschaft, so wie vor eurem gnädigsten Fürsten und Landesherrn zu verantworten getrauet, auch über alle Verhandlungen des Kirchengemeinderats oder in einzelnen Abteilungen desselben gewissenhafte Verschwiegenheit beobachten wollet.«
Hierauf fährt der Vorsteher des Rates fort: daß Ihr dieses tun wollet, darüber gebet Handtreue, – der neu Aufgenommene reicht ihm die rechte Hand, und spricht demselben folgende ihm vorzusprechende Worte nach: »Das Vorgelesene verspreche ich mit dem gnädigen Beistand Gottes als Christ und ehrlicher Mann nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen.«
Wird ein neugewählter Almosen- oder Stiftungsrechner, der immer zugleich Mitglied des Kirchengemeinderats ist, eingeführt, so ist nach »in zuverlässige Erfahrung bringt« noch hinzuzusetzen: auch das euch anvertraute Almosen und Kirchenvermögen redlich und treu verwalten wollet.
Als mit dem Kommissionsbericht und den Synodalbeschlüssen übereinstimmend beglaubigt.
Karlsruhe, den 15. August 1821.
Dr. Karbach,
als Sekret. der Gen. Synode.